Die Veranstalter/innen bestimmen den Ort der Versammlung, bei Aufzügen auch den Weg, der zurückgelegt werden soll. Einer Begründung bedarf es nicht. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden.
Zugangsrecht
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner wegweisenden Fraport-Entscheidung einen Zugang zu Orten ermöglicht, bei denen es sich mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse um Orte der allgemeinen Kommunikation handelt, beispielsweise die Abfertigungshalle des Frankfurter Flughafens. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Auf Flächen, für die ein allgemeiner Verkehr eröffnet ist und die im Eigentum des Staates oder einer vom Staat „beherrschten“ Gesellschaft stehen, können Versammlungen daher stattfinden. Auch ein der Öffentlichkeit allgemein geöffnetes und zugängliches Straßen- und Wegenetz auf dem Gelände eines in Privatrechtsform betriebenen Unternehmens der öffentlichen Hand ist vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erfasst, selbst wenn es nicht einer Einkaufsstraße oder Fußgängerzone, sondern eher einem Gewerbe gebiet gleichgestellt werden kann. Gleiches gilt für eine öffentliche Grünfläche, auf der ein Lebensmittelmarkt errichtet werden soll.
Auch diese ist ein Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs, eine Versammlung gegen den Bau des Lebensmittelmarktes ist dort zulässig. Nach zweifelhafter Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart soll hingegen die Kopfbahnsteighalle des Hauptbahnhofs in Stuttgart wegen der „stark zweckorientierten architektonischen Gestaltung“ der Bahnsteighalle wie auch der „konkreten Anordnung und Ausgestaltung des Gastronomieangebots“ nicht die Anforderungen erfüllen, die an einen Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs zu stellen sind.
Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG nicht geschützt. In einem öffentlichen Schwimmbad oder einem Krankenhaus kann deshalb keine Versammlung beansprucht werden. Auch in Fahrzeugen der U-Bahnen, Straßenbahnen und in öffentlichen Bussen sowie im Bereich von Betriebsanlagen öffentlicher Verkehrsmittel, für deren Betreten ein gültiger Fahrschein benötigt wird, ist kein Ort der allgemeinen Kommunikation eröffnet.
Ob auch Privatgrundstücke für Versammlungen beansprucht wer den können, wenn der Staat nicht oder nur in geringem Umfang beteiligt ist, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Es hat anlässlich eines Flashmobs eine Versammlung auf dem Nibelungenplatz in Passau, der im Eigentum einer privaten Gesellschaft steht, zwar zugelassen:
Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht“
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung getroffen wurde. Für das Gericht war maßgeblich, welche Folgen der Erlass oder Nichterlass der beantragten einstweiligen Anordnung hätte. Weil die Versammlung sonst gänzlich verhindert worden wäre, hat es die Rechte des Eigentümers ausnahmsweise zurücktreten lassen.
Damit bleibt es zunächst den Zivilgerichten überlassen, die Reichweite der Versammlungsfreiheit gegenüber Privaten zu bestimmen. Wie dies aussehen könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Das Bundesverfassungsgericht mahnt allerdings an, dass die Versammlungsfreiheit gegenüber der Tendenz, dass staatliche Funktionen zunehmend von privaten Unternehmen übernommen werden, nicht zu einer Schwächung der Versammlungsfreiheit führen kann:
Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater ei ner Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren“
Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder durch private Investoren geschaffene und betriebene Plätze als Orte des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen wohl nicht gänzlich ausgenommen werden.
Festzuhalten ist, dass Versammlungen grundsätzlich dort durchgeführt werden können, wo ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist, insbesondere wenn die Fläche (auch) im Eigentum des Staates steht Ein Zugangsrecht zu der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Orten besteht hingegen nicht.
Befriedete Bannkreise
Versammlungen sind nach §16 Abs. 1 Satz 1 VersG innerhalb von befriedeten Bannkreisen, die durch das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) und entsprechende landesrechtliche Regelungen bestimmt werden, nicht erlaubt. Wenn sie die Tätigkeit des durch den Bannkreis geschützten Verfassungsorgans wie z. B. eines Landtages nicht beeinträchtigen, können Versammlungen aber ggf. auch dort ausnahmsweise zugelassen werden.
Beachtungserfolg
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse an einem „Beachtungserfolg„. Die Versammlung soll selbst entscheiden, an welchen Ort sie ihre Ziele am effektivsten verfolgen kann. Daher ist auch das Interesse einer Gegenversammlung auf eine möglichst große Nähe zu der Versammlung, gegen die sich der Protest richtet, geschützt. Grundsätzlich kann daher verlangt werden, dass Protest in Hör- und Sichtweite geäußert werden kann.
Für eine Verlegung des Versammlungsortes oder der Demonstrationsroute, die als Auflage verfügt werden kann, werden hohe Anforderungen an die Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde zu stellen sein. Die Verlegung des Versammlungsortes oder eine großräumige Absperrung stellen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts dar, die nur bei gewichtigen entgegenstehenden Interessen (z. B. Schutz von Leben und Gesundheit) zulässig sind.
Verkehrsbeeinträchtigungen, Beeinträchtigungen von Passanten, Anliegern und Gewerbetreibenden, Lärmbelästigungen und dergleichen sind der Versammlung und dem Demonstrationszug immanent und daher grundsätzlich hinzunehmen. Die Beeinträchtigungen sind zwar so gering wie möglich zu halten, aber nicht um den Preis, dass die Effektivität der Meinungskundgabe vereitelt wird.
Konkurrenz zu anderen Veranstaltungen
Wollen mehrere Veranstalter/innen einen Ort zur selben Zeit nutzen ist zu entscheiden, welche Versammlung vorrangig ist Die Versammlungsbehörde muss dabei ihre Neutralität wahren, sie darf nicht ohne nähere Begründung eine ihr genehme Versammlung bevorzugen.
Eine einfache Lösung wäre, streng nach der Reihenfolge der Anmeldungen zu verfahren. Eine Entscheidung nach einem solchen Prioritätsprinzip oder „Windhundprinzip“ mag auf den ersten Bück einfach und transparent sein. Es hat jedoch den Nachteil, dass aus schließlich die Interessen der früher angemeldeten Versammlung berücksichtigt werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Versammlungen an bestimmten Orten sehr frühzeitig – gegebenenfalls Jahre im Voraus – auf Vorrat angemeldet werden könnten, mit der Folge, dass Versammlungen an diesem Ort und Tag nicht möglich sind.
Die Versammlungsbehörde muss deshalb die jeweiligen Interessen der konkurrierenden Versammlungen gegeneinander abwägen. Dabei hat sie nach der Maßgabe zu verfahren, dass möglichst beide Veranstaltungen ihr Ziel, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, so effektiv wie möglich erreichen. Dies kann sie unter anderem durch zeitliche oder räumliche Beschränkungen der einen wie auch der anderen Versammlung erreichen.
Ist es nicht möglich, dass beide Versammlungen parallel oder zeitlich nacheinander stattfinden, darf die Versammlungsbehörde unter Wahrung ihrer Neutralität mittels Auflagen reagieren, um eine örtliche Überschneidung beider Veranstaltungen zu vermeiden.
Für eine Abweichung von der Reihenfolge der Anmeldungen können in diesem Falle allerdings nur wichtige Gründe sprechen, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks. Auch hier bedarf es insoweit einer Abwägung der beiderseitigen Interessen der Versammlungen.
Dass auf einem Platz bereits eine anderweitige Veranstaltung, zum Beispiel ein Informationsstand stattfindet, mag unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts somit dazu führen, dass die konkurrierende Nutzung gegenüber einer an deren Veranstaltung zurückzutreten hat. Eine Gegenversammlung wird allerdings nicht verlangen können, dass der Versammlung, gegen die sich der Protest richtet, ein anderer Ort zugewiesen wird. Die zeitlich früher angemeldete Versammlung ist hier vorrangig.
© Text: Jasper Prigge, Versammlungsfreiheit: Ein Praxisleitfaden
© Bild: Marco Bras dos Santos
5 Kommentare