In der Praxis werden nicht selten Zivilbeamtinnen und -beamte auf Versammlungen eingesetzt, ohne dass die Versammlungsleitung hierüber in Kenntnis gesetzt wird. Dies widerspricht dem klaren Wortlaut des § 12 VersG, nach dem Beamtinnen und Beamte der Polizei eine gesetzliche Legitimationspflicht trifft.
Die Entsendung von Polizeibeamten in eine Versammlung soll nämlich nicht nur vor rechtswidrigen Handlungen abschrecken und eine sofortige Reaktion auf einen rechtswidrigen Versammlungsverlauf ermöglichen, sondern dient insbesondere auch dem Schutz der Versammlung vor Störungen von innen oder außen.
Aus der Funktion der Legitimationspflicht folgt, dass sich Polizeibeamtinnen und -beamte in Zivil unaufgefordert bei der Versammlungsleitung vorstellen müssen.
§12 VersG verlangt lediglich die Erkennbarkeit der Anwesenheit in die Versammlung entsandter Polizeibeamtinnen und Polizeibeamter für die Versammlungsleitung. Daher ist nicht jeder einzelne Beamte oder jede einzelne Beamtin verpflichtet, sich bei der Versammlungsleitung vor einem Betreten der Versammlung persönlich vorzustellen. Ausreichend ist, wenn die Beamteneigenschaft durch die Uniform nach außen kundgetan wird.
Es bietet sich an, die Polizei bereits zu Beginn einer Versammlung auf ihre Legitimationspflicht hinzuweisen und nachzufragen, ob Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte in ziviler Kleidung in die Versammlung entsandt werden (sollen).
Bisher in der Rechtsprechung nicht entschieden ist, ob für eine Entsendung ziviler Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamter wegen des möglichen Einschüchterungseffekts zusätzlich eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen muss. Lediglich in Sachsen (§ 11 Abs. 1 SächsVersG) ist diese Voraussetzung auch gesetzlich normiert.
Keine Legitimationspflicht soll für Polizeibeobachter in Zivil bestehen, die nicht zu versammlungsspezifischen Zwecken entsandt werden, sondern aus sonstigen Gründen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung anwesend sind. Angehörige anderer Behörden (z. B. Bundesamt oder Landesämter für Verfassungsschutz) sind nach dem Wortlaut des Gesetzes wohl ebenfalls nicht verpflichtet, ihre Answesenheit offenzulegen. Gleiches gilt für V-Leute der Polizei oder der Verfassungsschutzbehörden.
In Bayern muss sich nur die Einsatzleitung zu erkennen geben, in Sachsen-Anhalt gibt es eine dem § 12 Satz 1 VersG vergleichbare Vorschrift nicht.
Die Versammlungsleitung muss Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten einen angemessenen Platz einräumen. Welcher Platz „angemessen“ ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Polizei muss bei einem Einsatz tätig werden können, was allerdings nicht bedeutet, dass die Effektivität ihres Handelns uneingeschränkten Vorrang genießen würde. Vielmehr ist das öffentliche Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr stets mit den Interessen der Versammlung abzuwägen.
© Text: Jasper Prigge, Versammlungsfreiheit: Ein Praxisleitfaden
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